Großstadtsouveränität

Ich hab es getan. Ich habe einen riesigen Koffer gepackt, den ich selbst fast nicht tragen konnte, hab mich in den Zug gesetzt und bin 7 Stunden bis nach Wien gefahren, um zu studieren. Jetzt bin ich hier und habe sogar die ersten Uni-Tage überlebt – irgendwie jedenfalls.
Ich komme „vom Land“, aus einem Dorf in den Bergen um genau zu sein. Jetzt versuche ich mich in der Großstadt zu behaupten und dabei auch noch total souverän zu bleiben. Die meisten Dinge finde ich recht überfordern. Nicht da sie einen ungemein hohen Intellekt erfordern, sondern der sozialen Interaktion wegen. Das ist unheimlich dämlich von mir – ich weiß. Aber dann stehe ich in irgendeiner Fachbereichsbücherei während mich ein von Brillen umrahmtes Augenpaar skeptisch und mit fragendem Blick über den LED-Bildschirm hinweg ansieht.
„Ich hätte gerne einen Bibliotheksausweis.“ - stammle ich über den Bildschirm hinweg zum Augenpaar. Halb so schlimm eigentlich, würden meine Knie nicht so zittern und ich nicht das Gefühl hätte, dass die Person hinter mir innerlich die Augen verdreht. Nachdem ich meinen Studentenausweis vorgezeigt habe, ein paar Daten in den PC eingegeben wurden und eine neuer Sticker in meinem Studi-Ausweis geklebt wurde, ist alles schon wieder vorbei. Draußen vom Institut bin ich ganz stolz auf mich, schließlich hab ich ja fast alles geschafft – vielleicht hätte ich mich noch informieren sollen, aber egal, das kann man bestimmt auch googlen. Also schreite ich mit erhobenem Haupt zur Straßenbahn als würde ich sagen wollen: Bewundert alle meine Großstadtsouveränität, ich habs drauf! Und eigentlich will ich auch genau das bewirken… bis ich in die Straßenbahn steige und bemerke, dass ich bei der ganzen Aufregung  in der Bibliothek vergessen habe, meinen Rucksack zu schließen. „Das mit der Großstadtsouveränität musst du dann doch noch ein wenig üben.“ – denke ich bei mir und fahre nach Hause.